90 Prozent der Radstreifen in Berlin sind nicht sicher – „Bärchen gegen Brummis“ für kindersichere Radwege

Von | 4. Dezember 2016
Bärchen gegen Brummis am Leipziger Platz: So süß können kindersichere Radwege aussehen (Foto: Daniel Pöhler)

Bärchen gegen Brummis am Leipziger Platz: Mit Spielzeug haben wir für kindersichere Radwege demonstriert (Foto: Daniel Pöhler)

Von Daniel Pöhler und Dr.-Ing. Tim Lehmann, Initiative Volksentscheid Fahrrad

90 Prozent der Berliner Radwege sind nicht kindersicher. Das hat eine Umfrage der Berliner Morgenpost aus dem Jahr 2016 gezeigt. Der Hauptgrund der Ablehnung: Oft sind Radfahrer und Autos nur durch etwas weiße Farbe voneinander getrennt.

Radfahrstreifen und sogenannte Schutzstreifen bieten gerade keinen Schutz und sind somit nicht kindersicher

Einfache Radfahrstreifen und sogenannte Schutzstreifen bieten wenig Schutz.

Eine Stadt muss Radwege bereitstellen, auf denen Kinder gefahrlos radeln können. Mit dieser Aussage haben wir 2016 den damaligen Staatssekretär für Verkehr, Christian Gaebler (SPD), konfrontiert. Gaebler stimmte uns zu. Die Berliner Morgenpost bat daraufhin ihre Leser, 50 Radwege in Berlin danach zu beurteilen, ob sie ihre Kinder dort Rad fahren lassen würden – bundesweit bislang einmalig. Zwar ist die Umfrage nicht repräsentativ, aber mit mehr als 400 Teilnehmern bis zum Stichtag 5. Dezember 2016 gibt sie gute Hinweise darauf, welche Art von Radwegen sich die Berlinerinnen und Berliner wünschen.

Das Umfrage-Ergebnis ist desaströs für die Hauptstadt: Die Teilnehmer bewerteten 93 Prozent der aufgemalten Radstreifen mehrheitlich als nicht kindersicher. Für Fahrräder freigegebene Busspuren fallen sogar zu 100 Prozent als nicht kindersicher durch. Dagegen schneiden selbst alte Bordstein-Radwege etwas besser ab, von denen aber auch nur 13 Prozent in der Umfrage als kindersicher bestanden. Als sicherster Radweg Berlins mit 79 Prozent Zustimmung wurde hingegen der Radfahrstreifen auf der Straße des 17. Juni zwischen der S-Bahn-Haltestelle Tiergarten und dem Großen Stern bewertet. Dabei handelt es sich um eine der wenigen geschützten Radspuren (englischer Fachbegriff: „protected bike-lane“) in Berlin.

Quelle: Umfrage der Berliner Morgenpost (Stichtag: 5. Dezember 2016)

Quelle: Umfrage Berliner Morgenpost (Stichtag: 5. Dezember 2016)

Einfache Radstreifen ohne bauliche Abtrennung können auf wenig Kfz-belasteten Straßen oder auf Abschnitten mit Tempo 30 akzeptabel sein – nicht jedoch auf vielbefahrenen Hauptstraßen mit hohem „Parkdruck“. Denn die aufgemalten Radwege werden oft zugeparkt, wodurch Radfahrer/-innen gezwungen sind, sich in den schnell fahrenden Kraftverkehr einzufädeln. Außerdem können die Streifen kaum die typischen gefährlichen Überholmanöver verhindern, bei denen Fahrzeuge mit wenig Seitenabstand am Radfahrer vorbeiziehen. Weitere Gefahrenquellen sind ein- und ausparkende Wagen, unachtsam geöffnete Autotüren sowie tonnenschwere Lkw und Busse in bedrohlicher Nähe.

Sichere Radwege an Hauptstraßen zeichnen sich hingegen durch einen physischen Schutz gegen den vorbeirauschenden Lkw- und Pkw-Verkehr aus. Eine schnelle und günstige Möglichkeit dafür ist, Parkstreifen und Radstreifen zu tauschen: Der Fahrradstreifen verläuft dann nicht mehr zwischen fahrenden und parkenden Kfz, sondern geschützt rechts vom Parkstreifen. Genau das ist der Fall beim bestbewerteten Radfahrstreifen auf der Straße des 17 Juni. Eine sichere Umgestaltung der Kreuzungen rundet das Konzept ab, sodass sich Rad- und Kraftfahrer an Knotenpunkten rechtzeitig sehen können. Tatsächlich haben aber nur die Hälfte der Berliner Hauptstraßen überhaupt Radwege oder Radfahrstreifen. Damit soll bald Schluss sein! 

Auf Radfahr- und Angebotsstreifen sowie alten Radwegen befinden sich Radler leichter im toten Winkel als auf modernen Radwegen wie in den Niederlanden

Mögliche Radweg-Verläufe an Kreuzungen im Vergleich (Bild: Institut für Mobilität & Verkehr, nationaler-radverkehrsplan.de; Ergänzungen von uns).

Radwege mit neuem Standard für Berlin

In Berlin soll es künftig an stark befahrenen Hauptstraßen vom Autoverkehr getrennte Radwege geben. So steht es jedenfalls – noch etwas vage – im Koalitionsvertrag von SPD, Linken und Grünen (Zeilen 141–143). Das Gleiche forderten auch Delegierte des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) auf der Bundesversammlung 2016. Diese separierten Radfahrspuren sind deutlich sicherer und komfortabler als die heute in Berlin vorhandenen Schutz- und Radfahrstreifen. Der Volksentscheid Fahrrad setzt sich dafür ein, dass die neuen Radwege so schnell wie möglich gebaut werden können. Alte Radwege auf dem Bürgersteig sollten gründlich repariert werden, am besten asphaltiert, und – sofern das die Fußgänger nicht einschränkt – verbreitert.

Durch geschützte Radwege bekommen Kinder wieder die Freiheit, selbstständig mobil zu sein. Auch vorsichtige Menschen trauen sich wieder aufs Zweirad. Staugeplagte können endlich aufs Fahrrad umsteigen. Viele heute noch überlastete Straßen werden staufrei sein. Diejenigen, die wirklich auf ein Auto angewiesen sind, kommen dann wieder ohne Stress voran und müssen keinen Frust mehr an anderen ablassen.

Volksentscheid-Demo für kindersichere Radwege

Im Dezember 2016 haben wir am Leipziger Platz gezeigt, wie kindersichere Radwege aussehen können. Wir haben Bärchen und anderes Spielzeug auf die Straße gelegt, um Autos und Brummis vom Radstreifen fernzuhalten. Unsere Demo „Bärchen gegen Brummis“ war ein voller Erfolg. So wurde die Aktion bis weit über die deutschen Landesgrenzen hinaus verbreitet.

Künftig sollen natürlich andere Elemente den Radverkehr vor dicht überholenden und falsch parkenden Kraftfahrzeugen schützen. Das können Bordsteine, Poller oder Blumenkübel sein. Im Prinzip sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt, sodass neben der Schutzfunktion auch der öffentliche Raum verschönert werden kann.


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